With the Lights Out…(2)

„Ich sag dir, das war garantiert der Ossendorfer, der dumme Flachwichser. Der baut dauernd irgend nen Scheiß. Der is eh voll der Psycho. Der sprengt Katzen, Mann.“ „Was? Laber doch nich!“ „Ich schwör, Mann. Der steckt denen D-Böller in den Arsch und sprengt die in die Luft.“ „Was laberst du, Mann“ „Ich schwör! Frag den Helle!“ „Minchia, du laberst nur Scheiß, ey! Ein Katzenarschloch ist doch viel zu klein für nen D-Böller! Außerdem isses doch scheißegal. Die Bullen können eh nix beweisen.“ Tobi ist genervt. Er ist noch nicht mal die Treppe zum ersten Stock hoch und schon wird er von Sebi ins Kreuzverhör genommen wegen dem abgefackelten Weihnachtsbaum. „Ja, komm, he, der Helle erzählt viel, wenn der Tag lang is. Der hat mir mal weismachen wollen, dass sein Onkel im Vietnamkrieg war in Spanien und ne Napalmbombe mit den bloßen Händen aufgefangen hat.“ „Ja und? Hat er auch! Ich hab nen Bild gesehen, wo er die Bombe hält.“ „Oh lecko mio, du bist doch auch nich mehr ganz knusper“, stöhnt Tobi, drückt sich vorbei und schleppt seinen Rucksack mit 46 Büchsen Hansa die Treppe hoch. Volles Haus. Die Luft steht, das Bier läuft. „OOOH, ARSCHLOCH!“ Bombenstimmung. Napalmbombe. Leck mich doch am Arsch! Auf Partys von Ernie und Bert geht’s immer ober ab. Die Bullen kommen schon gar nicht mehr, weil sie wissen, dass es sowieso nix bringt. Lauter Xox trifft sich auf den Partys in der Bahnhofstraße. Einmal gab es eine Orgie, hat Sebi erzählt, weil sich der Freddy in der Badewanne einen runtergeholt hat und im Suff vergessen hat, die Klotür zu zu machen. Aber der Sebi verzapft eigentlich eh nur Scheiß. Genau wie der Helle, die Laberbacke. Der zieht auch T-Shirts an, auf denen steht „Wir sind die Leute, vor denen uns unsere Eltern immer gewarnt haben“. Völlig Banane! Aber möglich wär‘s halt schon in der Bahnhofstraße. In der WG von Erni und Bert wohnen auch zwei Mädels: Mimmi und Tasche. Mimmi ist eigentlich ein Junge. Eigentlich heißt er auch Florian. Aber weil er die ober Memme ist, nennen ihn alle Mimmi. Ernie und Bert haben ihm den Spitznamen verpasst und ihn zum Mädchen ehrenhalber ernannt. Das bringt ihn auf die Palme. Aber er kann nichts dagegen tun. Weil er halt die ober Memme ist. P.P., Persönliches Pech. Tobi umarmt gefühlt 100.000 Leute auf seinem Weg ins Wohnzimmer und lässt sich dort mitsamt seinem Rucksack zwischen Fiedel und Marci auf den Boden in den Sitzkreis plumpsen. „Hans A. zum Winter“, wirft Tobi in die Runde, die antwortet wie aus dem Effeff: „Hauptsache Hansa, alles andere ist euer Bier!“. Tasche, Miko und Tobi machen sich eine Büchse aus dem Rucksack auf. Volle Kanne, Hoschi! Fine und Marci nuckeln noch an ihrem Ötze. Mimmi lehnt ab. „Ich bin jetzt straight edge.“ Er zeigt Tobi das X, das er sich mit Edding auf den rechten Handrücken gemalt hat. „Was soll‘n das sein? Ist das so ein homöempathisches Zauberzeichen gegen Giftstoffe im Körper oder so was?“ Miko und Fine feixen. „Nee Mann, hab einfach die Schnauze voll davon, das Leben zu verpassen, weil ich mir die Birne zudröhne. Ich will einfach alles mitbekommen. Selber Kontrolle haben, statt mich von Substanzen kontrollieren zu lassen.“ „Hä? Was is los? Was denn für Substanzen? Drehst du jetz völlig am Rad, oder was?“ „Siktir Lan! Du blickst es halt auf keinem Auge, du Ollum!“ „Minchia! Jetz reg dich halt auf, Lan! Es zwingt dich ja keiner zum Saufen.“ „Von wegen! Die ganze Gesellschaft ist doch darauf ausgelegt, dass sich die Leute dumm saufen und sich wegbeamen, damit sie nich mitbekommen, was wirklich abgeht. Opium fürs Volk, damit nur keiner mal das Maul aufmacht.“ „Bist jetz Revoluzzer oder was?“ „Ach, halt sie doch einfach, wenn du‘s nich kapierst! D.b.d.d.h.k.P.! Wo is eigentlich Karl? Is der schon da?“ „Nee“, sagt Marci. „Der wollte noch was fratzen und dann später kommen.“ „Wieso, hier gibt’s doch auch was. Aufm Herd steht nen riesen Topf Chili.“ „Ähä, wahrscheinlich sind wieder Pilze drin. Letzt Mal hab ich voll die Optik geschoben und wusste nich woher.“ „Also, ich fand es witzig“, wirft Fiedel ein. „Ich saß in der Küche und hatte ein sehr tiefsinniges Gespräch mit dem Philodendron. Der hat mir gesagt, ich soll zu meinen Wurzeln zurückkehren. Dann hab ich gesagt, ich wüsste nicht, wo meine Wurzeln sind. Deine Wurzeln sind in deinem Topf, hat der Philodendron dann gesagt. Daraufhin hab ich den gesamten Küchenschrank ausgeräumt und nach meinem Topf gesucht. Am Ende hatte ich glaub den Dampfkochtopf auf dem Kopf. Gute Zeiten.“ „In deinem Fall wahrscheinlich eher das Spaghettisieb“, ruft Miko zur allgemeinen Belustigung. „Das waren der Helle und der Sebi, die Spacken“, erklärt Mimmi. „Aber genau das mein ich halt. Das bockts doch nich, mit Topfpflanzen zu sprechen.“ „He, nichts gegen Phil!“, scherzt Fiedel unbemerkt. „Karl is wahrscheinlich am Supernintendo-Zocken. Glaub nich, dass der noch kommt“, meint Miko, „der war vorhin schon breit wie’n Eimer. Das is genau der Unterschied zwischen Kiffen und Alkohol. Wenn man trinkt, ist man gesellig, man unternimmt was zusammen und erlebt witzige Sachen. Wenn du dir jeden Tag die Birne zukiffst so wie Karl, gammelst du nur noch aufm Lilaledersofa rum und gehst gar nich mehr vor die Tür.“ Marci findet das ganze straight edge Gelaber birnenweich. Aber irgendwie hat es schon auch was. Wahrscheinlich hat Kurt genau darüber gesungen. With the lights out it’s less dangerous. Die Welt kommt einem im Dämmerzustand einfach nicht so schlimm vor, wie sie in Wirklichkeit ist. Alles wird erträglicher. Andererseits sollte man sich der Welt vielleicht auch einfach stellen, anstatt so eine Memme zu sein und sich wegzuballern. Es wundert ihn, dass ausgerechnet Mimmi das probiert. Vielleicht sollte er auch mal für eine Weile aufhören. Zumindest mit dem Kiffen. Miko hat eigentlich schon recht. Kiffen macht ganz schön platt. Aber zum Mucke machen ist es ideal, weil man nicht so leicht abgelenkt wird und sich besser konzentrieren kann. Kiffen macht kreativ. Alkohol macht nur hyperaktiv und man wird zum Grobmotoriker. „Will jemand einen Holli?“, fragt Fiedel. Marci lehnt sich in Fiedels Richtung. Fiedel dreht die Tüte in seinem Mund freihändig um und bläst Rauch in Marcis, dann in Tasches Mund. Ober gut. Das geht mit Alk auch nicht. „Aber ich find, man darfs halt einfach nich übertreiben“, sagt Fine. „Wenn du zu viel Sport machst, isses auch ungesund. Aber solang man nur am Wochenende feiert, isses doch okay. Dafür sind Wochenenden ja auch da. Ex oder nie wieder Sex!“ Fine leert ihre Dose und rülpst. Schnell halten sich alle den Daumen an die Stirn, strecken den kleinen Finger aus und rufen „Schulz!“. Marci kassiert von Fine einen Faustschlag auf den Oberarm, weil er’s verpeilt hat. Deng-gedeng-tschicketschicke-deng-deng, Deng-gedeng-tschicketschicke-deng-deng sobald das Gitarrenriff aus den Lautsprechern ballert, sind alle auf den Füßen und gefühlte 100.000 Leute springen für acht Takte auf und ab. Dann ein bisschen auf der Stelle Schunkeln, hello hello hello how low, bevor die ganze Bude in Gerempel und Geschrei explodiert. Es regnet Bier und hagelt Ellenbogen, einer tritt gegen die Yucca-Palme und fängt sich dafür einen Arschtritt mit Stahlkappe von Fine ein. Nach dem Refrain bricht die Menge in Gejohle aus, hebt die Getränke, nimmt sich in die Arme; nur Fine und Marci pogen bis zum Ende durch und küssen sich zum Schlussakkord, bevor sie sich wieder hinflacken.
Marci drückt kurz auf Pause und schaut sich um. Überall strahlende Augen, fröhliche, schweißnasse Gesichter. Die tapfere Yucca-Palme mit einem Loch im Topf. Menschen, die in Bierpfützen stehen und sich freundschaftlich berühren, obwohl sie sich vielleicht gar nicht kennen. Ein glückliches Mädchen, dass sich mit erleichterten Umarmungen bei ihren Helfern für die wiedergefundene Brille bedankt. Pärchen, die sich küssen und dabei die ganze Welt um sich vergessen. Alles eingehüllt von fast unsichtbaren Energiepartikeln in allen Regenbogenfarben, die im Rhythmus der Musik durch Seelen branden und sie dadurch aufladen. Das Leben ist wie ein Nirvana-Song, denkt er. Unter der Woche dümpelst du wie eine Strophe so vor dich hin, am Wochenende drehst du auf und gibst alles, volle Kanne, wie im Refrain. Die Strophe ist eigentlich voll belanglos, die braucht keine Sau. Alles was wichtig ist, alles, was es wert ist, gesagt zu werden, wird im Refrain gesagt. Deshalb wird der Refrain auch wiederholt. Weil er am wichtigsten ist. Strophen werden nie wiederholt. Außer manchmal, wenn denen nix mehr eingefallen ist und das Lied noch zu kurz war. Strophen sind unwichtig. Reines Füllmaterial, damit das Lied drei Minuten lang wird. Man müsste sein Leben leben, als gäbe es nur Refrains. Einfach nur alles machen, was dich rockt, ohne den überflüssigen Strophen-Scheiß, der dich ausbremst zwischendurch. Marci überlegt kurz, den Gedanken mit seinen Freunden zu teilen, lässt es aber bleiben. Die würden das eh nicht verstehen. Vielleicht erzählt er es später Fine. Oder er schreibt ein Lied, das nur aus Refrains besteht. Mal schauen.

Die Partypopulation scheint exponentiell zu wachsen. —„SCHINKEN!“ — „EI!“ Helle und Marina preschen durch den Menschenwald und kichern wie zwei Halbaffen. Helle zieht an seiner Jackie-Flasche. „Ah, der Club der dichten Töter! Is Karl da?“, will er wissen. „Wart, ich schau mal nach“, sagt Tobi. Er öffnet die Flappe und ruft „Karl?“ in seinen Rucksack. Helle packt Tobi am Hals und knurrt: „Ich pump dir gleich eine, du kleiner Fotzenkopf!“ Und irgendwann tret ich dir deine hässliche Hackfresse ein, denkt Tobi. „Boah, Helle, jetz mach doch keinen Stress!“, schimpft Tasche. „Lass doch den Kleinen, ey. Wer blöde fragt, kriegt halt blöde Antworten“, sagt Marina und zerrt Helles Hand von Tobis Hals. Helle klapst Marina trotzig mit der Hand auf den Oberschenkel. „Karl kommt später noch. Vielleicht“, meint Miko. Helle und Marina setzten sich. Die zwei sind schon uralt. Mitte-Ende zwanzig oder so. Voll die Geronten. Dann fangen sie wieder an zu lachen. „Wir hatten grad ne obertittenaffengeile Idee“, kichert Helle. „Pissguerilla“, sagt er verschwörerisch. Marina schmeißt sich weg vor Lachen. „Immer auf ner Party pisst man überall en bisschen hin. Bisschen übers Geschirr, bisschen unters Bett, bisschen in den Schrank, bisschen hier, bisschen da. Ist doch geil oder?“ „Boah, ihr seid so eklig!“ quietscht Tasche. „Und was soll das bringen?“, fragt Fiedel. „Spaß!“, jubelt Marina. „Revier markieren!“, behauptet Helle. „Ich schwör, wenn ihr hier irgendwo hingepisst habt, könnt ihr die ganze Bude schrubben!“, tobt Tasche. „Nee, hier doch nich!“, sagt Helle und hebt drei Finger. „Nö. Hier doch nie!“, intoniert Marina ironisch. „Ach, fick die Henne, ihr seid doch ober die Vollmongos!“, speit Tasche, schnappt sich Fine und die beiden dampfen ab, um das Haus zu kontrollieren. Mimmi hintendrein. „Blöde Tusneldas“, murmelt Helle. „Und? Wie sieht’s aus, Jungs? Seid ihr dabei?“ Helle erntet nur irritierte Blicke. „Ihr seid doch die ober Spastis! Der Karl wär sofort dabei. Kindergarten hier!“ Helle verschwindet im Menschenwald mit Marina im Schlepptau. „Ober der Psycho!“, stellt Marci fest. „Pissguerilla, he. Das musste dir erstmal reinziehen!“, bestätigt Tobi. „Aber ein bisschen witzig ist es schon“, findet Fiedel. „Ja, komm Fiedel, du würdest doch keinen Tropfen rauskriegen. Du gehst ja sogar im Euli in die Kabine zum Schiffen!“, posaunt Miko. „Nur, weil ich nicht will, dass mir der Petriheil an den Schwanz fasst, der garstige Alte!“ „Wäh! Der Petriheil. Wenn der deinen Schwanz anfasst, fault er ab!“, juxt Tobi. „Jungs, wie schaut’s? Is gut was los mittlerweile“, meint Miko. „Boah, weiß nich. Kommt glaub nich so geil jetz oder?“, antwortet Marci. „Was? Das kommt ober geil! Sei keine nasse Decke, es wird ein Gas!“, widerspricht Fiedel. „Ja, Mann, lass zocken!“, sagt Miko und rüttelt Marci an den Schultern. „Fjeden!“, findet Tobi. „Nee, des wird eh nix. Bin eh schon viel zu blau zum Zocken!“, quengelt Marci. „Ach Quatsch! Körperbeherrschung fängt erst ab zwei Promille an!“, befiehlt Miko. Er steht auf, holt Marcis Klampfe aus der Ecke und drückt sie ihm in die Hand. Marci schaut verzweifelt aus der Wäsche. Miko schnappt sich seine Gitarre, Tobi den Akustik-Bass, den Miko mitgebracht hat, und Fiedel die Bongos von Ernie. „Gianni!“, ruft Miko. Aber Gianni hört nix. „Giovanni!“, schreit Miko nochmal. Wieder nix. „Giannananini! Stronzoputtana!“ „Waswillstu?“ „Machmamuckeaus!“ Und dann ist Ruhe. Alle schauen auf Gianni. Gianni zeigt auf die Jungs. Und dann schauen gefühlt 200.000 Augen auf die Band. „Ja, hi, wir sind“, sagt Miko laut. „Scheiße, Marci, wie heißen wir nochmal?“, fragt er im Flüsterton. „With the Lights Out!“, flüstert Tobi. „With the Lights Out!“, ruft Miko. „Wir würden gern ein paar Lieder spielen. Und wenn’s euch taugt, kommt am 19. Februar ins Juz, da spielen wir dann verzerrt. Das is der Samstag nach Fasnacht.“ „Da kann ich nich!“, ruft Gianni. „Dann kriegst du halt auch kein Freibier! Jeder, wo kommt, kriegt ein Freibier!“ Jubel und Begeisterung. Fiedel zählt ein und ab dafür. Ah nee, doch nich. Marci hat nen Hänger. „Immer bloß: G, C, G, C“, flüstert Tobi. „Ich hab den Text vergessen“, flüstert Marci, „Ich hab kein Bock. Ich hab gesagt, ich bin zu blau.“ „Dann spiel du Mikos Sachen!“ Tobi nickt Miko zu und dann Fiedel. Fiedel zählt wieder ein und dann geht der Punk ab. Miko und Tobi schrammeln und schreien sich die Seelen aus dem Leib, Fiedel prügelt die Bongos wie der Ratzinger die Domspatzen. Nur Marci macht nix. Erst als Tobi „Refrain, dann Solo!“, ruft und ihm nen Arschtritt verpasst, steigt er mit ein. Kiss, kiss Molly’s lips. Danach ein eigenes: Somebody Killed the Sun. Und zum Schluss noch Rape Me. Marci hätte sich fast in die Hosen gemacht. Seine Hände zittern immer noch. Aber er fühlt sich ober gut. Als wären alle seine Sinne auf BraveStarr-Level und der Empfang voll aufgedreht. Der Applaus geht runter wie Öl und die meisten Leute sind im Raum geblieben. „19. Februar Im Juz!“, erinnert Miko, „Mit Freibier!“, johlt Tobi, „Alle Groupies bitte bei mir anstellen!“, ruft Fiedel. Instrumente wegpacken, Siegerbier knacken und anstoßen. „Ihr vier! Mitkommen!“, befiehlt Ernie. „Ach du Kacke. Der klingt echt angepisst“, haucht Marci. „Ich habe noch gesagt, wir hätten vorher fragen sollen. Jetzt fliegen wir zwanzigkantig raus“, wispert Fiedel zurück. Ein pinker Iro auf 1,85 Höhe schneidet sich die Bahn und vier ertappte Lausbuben dröppeln unter Schulterklopfen hinterher…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back to Top