Was willste auch machen?

Von wegen zu alt. Ich bin ja durchaus noch lernfähig. Das war doch jetzt ne ganz saubere Angelegenheit, findste nich?

Und die sagen mir, ich wär zu alt. Tut uns leid, Herr Peters, wir brauchen einfach dynamischere Mitarbeiter, junge Leute, die flexibel sind und frische Ideen mitbringen. Nach 24 Jahren, die ich mir den Buckel krumm gearbeitet hab für diese undankbaren Schweinehunde. Ich hab Lebenserfahrung, verdammt nochmal. Ich weiß doch wie der Hase hier läuft. Blöde Schlipsaffen! Kommen von der Uni und meinen, sie wissen wie die Welt funktioniert. Die wären doch panisch aus dem Fenster gesprungen als wir damals in der Krise steckten. Wir ham die Ärmel hochgekrempelt, in die Hände gespuckt und ham den Karren aus dem Dreck gezogen. Das können die doch heute gar nicht mehr. Beim kleinsten Anzeichen von Schwierigkeiten ziehen sie den Schwanz ein und rennen heim zu Mutti. Aber das ist doch genau das, worauf es ankommt. Man muss wissen, was zu tun ist, wenn die Kacke am Dampfen ist. Das lernt man nicht aus Büchern.

Kannst du doch sicher auch ein Lied von singen. Bist doch auch noch von der alten Schule, was. Was bistn du fürn Jahrgang? 52? Nee. Lass dich mal ansehen. Hast dich eigentlich ganz gut gehalten. Aber die 70 hast du auf jeden Fall hinter dir. 40,41? Na komm, rück mal rüber, ich setz mich doch noch ein bisschen zu dir. Ist ja auch ein schöner Abend, nicht? Aber wenig los heute. Naja, müssen ja auch alle früh raus morgen. Außer uns zwei hübschen, wa?

Ich hab noch zwei Jahre bis 60. In fünf hättich in Rente können. Fünf lächerliche Jahre. Die hättense mir doch noch geben können. Aber nein. Sie müssen verstehen, Herr Peters, wir konkurrieren auf dem Weltmarkt. Wir müssen Stellen zusammenlegen, damit wir wettbewerbsfähig bleiben.

Wir? Und das hab ich ihm so gesagt, pass auf: Wir? Ich bin zehnmal so lange in der Firma, wie du, du erbärmliches Würstchen. Wenn hier einer von wir sprechen kann, dann bin das ich. Ich sollte wettbewerbsfähig bleiben und nicht du. Du kannst ja hingehen und deine eigene Firma gründen und da mit deinen Abzocker-Methoden rumfuhrwerken. Mal sehen wie lange du dich dann halten kannst. Aber dafür haste nicht den Arsch in der Hose. Nein, du setzt dich lieber ins gemachte Nest, das ich übrigens durch meinen Einsatz mit aufgebaut hab, und wirtschaftest dann alles in Grund und Boden. Dir kanns ja egal sein, wenn der Laden den Bach runtergeht. Du kassiert schön deine dicke Abfindung, kaufst dir eine neue Yacht und lässt dich dann im nächsten Betrieb nieder und richtest den zugrunde, du Aasgeier, du elender. Wo sind bitteschön meine Millionen? Wenn ihr mich rausschmeißt, will ich mir zumindest auch eine Yacht kaufen können. Dann geh ich angeln und ihr könnt mich hier alle mal am Arsch lecken.

Stattdessen bekomm ich ne Hungerrente. Neuer Job? Fehlanzeige. Wer stellt dich denn noch an für fünf Jahre? Und selbst wenn, wär ich zu teuer. Überqualifiziert nennen sie das. Stattdessen hamse hundert Praktikanten und ein ganzes Rudel von so 400-Euro-Jobbern. Die können zwar nix, dafür kostense aber auch nix und deshalb macht das auch nix. Ich sag dir, ich versteh die jungen Leute nicht. Die verheizen sich gegenseitig und alle machen fröhlich dabei mit. Aber die wern sich noch umschauen. Weißte, eigentlich bin ich auch ganz froh, da raus zu sein.

Was warstn du eigentlich mal? Sicher auch so nen Sesselpupser, was? Oder vielleicht Lehrer? Mit der Brille könnteste Lehrer gewesen sein. Da warste sicher auch froh, als du rauswarst, wie? Ich sag dir, das könnt ich nicht. Den ganzen Tag so verzogene Blagen um mich. Die kennen ja auch nur noch ihre Rechte. Von Pflichten ham die noch nie was gehört. Und wennde so nem Rotzlöffel mal ne Schelle verpasst, weil er dir Hundescheiße in den Briefkasten steckt, bekommste noch ne Anzeige. Das hätts bei uns damals nicht gegeben. Naja, aber immerhin, als Beamter haste deine Pension ja sicher. Unsereiner krampft und krampft um gerade so über die Runden zu kommen und dann kassierste nen Arschtritt und bist weg vom Fenster.

Vierundzwanzig Jahre! Und was bekomm ich dafür? Ich kann mir kaum mehr die Miete leisten. Und ich hab nicht mal nen Balkon. Da zahlste schön brav ein, jeden Monat für Jahrzehnte. Die Mieten werden immer teurer, aber mehr Lohn gibts selbstverständlich nicht und dann macht es zack! und du bist abserviert. Und weil fünf lächerliche Jahre fehlen, nagst du von heut auf morgen am Hungertuch. Ich kann ja aufstocken, hammse mir gesagt. Soll ich jetzt wie ein Assi beim Amt um Almosen betteln? Nich mit mir. Hättest du doch sicher auch nicht gemacht. Nee, da sind wir zu stolz für. Ich hab immer gearbeitet und ich werd auf meine alten Tage sicher nich das Betteln anfangen. Alles wegen so einem affektierten Arschloch, das in irgendeinem Buch gelesen hat, dass weniger Arbeitskräfte die Produktion verbessern. Das ist doch hirnverbrannt. Das ist doch völlig behämmert!

Ach ja, und weißte, was er dann gesagt hat, der kleine Dreckspatz? Tut mir leid, Herr Peters, ich kann das nicht entscheiden. Das Unternehmen hat seine Vorgaben, nach denen ich handeln muss. Es bereitet mir keine Freude, sie gehen zu lassen.

Das Unternehmen? Was ist das so eine Art Gott? Ist Das Unternehmen eine Übermacht, für die wir uns aufopfern müssen und die dann entscheidet, wann du ausgesaugt bist und dich auf den Müll wirft, wie ne leere Dose Bier? Das sind doch Menschen, die da sitzen. Menschen, die Entscheidungen treffen. Menschen, die doch eigentlich fähig sein sollten, darüber nachzudenken, was sie tun und was für Entscheidungen sie treffen. Ich sag dir ehrlich, das kotzt mich an. Du bist nichts mehr wert als Mensch. Und diejenigen, die dich wie Müll behandeln, sehen sich selbst nicht mehr als Mensch. Denn dann müsstense ja Verantwortung übernehmen und sich rechtfertigen. Nein, nein: das Unternehmen sagt! Die verstecken sich hinter ihrem Unternehmen, damit sie nachts überhaupt noch schlafen können, die Schweinepriester. Weißt du, was mir da einfällt? Pontius Pilatus. Der hat sich auch versteckt. Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen. Uns schlagense ans Kreuz und machen einen auf unschuldig. Aber wenn mal keiner mehr da ist, dense kreuzigen können, wenn sie alle wegrationalisiert haben, dann sollense mal sehen.

Tja, Mensch und nu liegste da und ich zieh dir deine Rente aus der Tasche. Pardon, Herr Oberstudienrat, die Pension. Eigentlich auch ein Unding. Wir von der alten Garde sollten doch zusammenhalten. Aber ich denk mir halt: Die Jungen ham ihr ganzes Leben noch vor sich und die in der Mitte ham womöglich kleine Kinder. Du hattest immerhin schon dein ganzes Leben. Und sindwer mal ehrlich, es hätte dich auch so jeden Tag treffen können. Und immerhin wars doch kurz und schmerzlos. Hast ja auch gar nix gemerkt, oder? Na siehste! Die ersten hams schon noch gespürt. Die armen Schweine. Geschrien hamse und gezappelt. Aber dann hattich den Dreh irgendwann raus. Man lernt halt doch das ganze Leben. Sei mal froh. Andere krepieren am Krebs und leiden Jahrelang. Da isses doch besser, wenns einen so aus heiterem Himmel trifft. Und wer weiß, vielleicht haut mir in ein paar Jahren so einer wie ich auch den Knüppel aufn Kopf. Verdient hättichs ja. Andererseits – Ich habs mir ja so auch nicht ausgesucht. Aber was willste auch machen?

 

 

 

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Martin Brunner, 2014

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