Es war einmal eine Frau von Adel, die zwei Töchter hatte, aber keinen Ehemann. Sie hatte einmal einen gehabt, ist ja klar, weil sonst hätte sie ja auch keine Töchter haben können, aber der Mann war früh gestorben. An der Schwindelsucht. Einmal hatte er nämlich behauptet, er könne Stroh zu Gold spinnen, um in der Kneipe das Gespräch von Penismaßen abzulenken. Früher waren die Leute noch dumm und nahmen alles für bare Münze und das Gerücht sprach sich herum und der König kam und stellte ihn auf die Probe. Natürlich konnte der Mann nicht einmal einen Sonnenhut aus dem Stroh flechten, geschweige denn Gold daraus spinnen. Darum ließ der König ihn gleich siebenfach ermorden und zu guter Letzt mittendurch entzwei reißen und es war ihm Recht geschehen.
Der Frau aber, die ja nun gar nichts dafür konnte, nahm der König alles Hab und Gut. Angeblich, um seine Fahrtkosten zu decken. Dabei lebte er nur zwei Kilometer entfernt. Und mit der Bahn war er auch nicht gefahren. Na, jedenfalls heiratete die Frau in ihrer Not einen reichen Witwer aus dem gehobenen Mittelstand. Dieser aber hatte auch bereits eine Tochter, woher weiß niemand mehr so ganz genau.
Der Witwer gewöhnte sich recht schnell an seinen neuen Familienstand. Seine Tochter aber war ein recht widerspenstiges Ding. Tag um Tag unterrichtete die Stiefmutter persönlich die drei Mädchen und bemühte sich darum, ihnen die nötige Etikette beizubringen, damit aus ihnen einmal etwas würde. Ihre beiden eigenen Töchter waren fleißig, konnten bald lesen und rechnen, tanzen und sich bei Tisch benehmen. Doch die Witwerstochter war eifersüchtig auf die neuen Frauen im Haus und schämte sich auch ihrer winzigen Füße wegen. So zerwarf sie mit Absicht das Geschirr bei Tische, konnte nur schwer lesen und rechnen und ruinierte ihre schönen Kleider, indem sie grobe Holzklötze darin zum Herd trug. Aus bösem Trotz heraus räumte sie auch oft mit bloßen Händen in der die Asche des Küchenfeuers herum, rußte sich ganz ein von Kopf bis Fuß und rief dabei „Hoch die Arbeiterklasse! Es lebe das Proletariat!“ Daher nannten sie bald alle Aschenputtel.
Eines Tages fuhr der Vater zur Messe und fragte seine Töchter, was er ihnen mitbringen solle. Die eine wollte Kleider, die andere Geschmeide. Als er Aschenputtel fragte, was er ihr mitbringen solle, keifte sie: „Mir doch egal! Scheiß mit Reis!“ Der Vater schüttelte nur den Kopf. Auf dem Rückweg stieß ihm jedoch ein Haselnussreis an den Hut und er dachte bei sich „Naja, es ist ein Reis und die drei Nüsse daran sind braun wie Scheiß“, also brachte er es dem Aschenputtel mit.
Das wiederum pflanzte die Nüsse ein um Mitternacht bei Vollmond und goss sie an mit Katzenblut, dass bald daraus ein Zauberbaum erwuchs, worunter sie oft dem Teufel huldigte.
Nun begab es sich, dass ein dreitägiges Fest im Königsschloss abgehalten wurde, zu welchem alle schönen Jungfrauen im Lande eingeladen waren, damit sich der Prinz aus ihnen seine Braut aussuchen mochte. Sowohl Aschenputtel als auch seine neuen Schwestern erfüllten die Kriterien: zwischen 16 und 18, blond, blauäugig, Kategorie I 140/60/90 oder Kategorie II BMI <18.
„Komm, Aschenputtel, wir wollen uns herausputzen für den Prinzen, das wäre doch glatt, wenn er eine von uns dreien zur Braut nähme!“ riefen die Schwestern entzückt. Das Aschenputtel aber maulte: „Ich mach doch bei dem sexistischen Püppidreck nicht mit! Schaut euch doch mal an, ihr widerlichen Tussies mit euren Märchenprinzfantasien! Ich verachte eure flache It Girl Existenz! Lieber will ich am Fließband Krabben pulen. Ist immer noch sinnvoller als Heiraten und Hausfrau sein.“
Da keine Krabben im Hause waren, gab die Stiefmutter dem frechen Aschenputtel Linsen zum Sortieren, während sie mit den beiden anderen Töchtern zum Ball fuhr. Das Aschenputtel aber war in Wahrheit stinke faul. Und als es bemerkte, wie mühselig Arbeit sein kann, bediente es sich der schwarzen Magie des Zauberbäumchens, um Turteltäubchen dazu zu zwingen, ihr die Linsen auszulesen. „Und denkt dran: die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen, sonst beiß ich euch ab die Köpfchen“, drohte es den Täubchen. Dann ließ es sich vom Bäumchen ein Kleid mit winzigen Pantoffeln ganz aus Gold und ein Pferd zaubern und machte sich auf zum Ball, um den Prinzen zu verhexen.
Bevor Aschenputtel den Ballsaal betrat, verschleierte es sich Mund und Nase, denn der Ärmelsaum ihres Kleides war mit einem Pulver versetzt, das ihr den Prinzen gefügig machte, sobald sie ihm ihre Hand zum Kuss hinüberwehte. Die ganze Festgesellschaft war bald recht betört von Aschenputtel. Als aber die Mitternacht schlug, machte sie sich schleunigst auf den Heimweg, da sich sonst ihr Kleid in Wohlgefallen auflösen würde. Zwar lief der Prinz ihr nach, doch die Drogen verlangsamten seinen Schritt.
Gleiches geschah in den beiden darauffolgenden Nächten. Der Prinz war zum dritten Mal verzaubert, damit wurde die Wirkung dauerhaft. Allerdings hatte der listige Thronfolger am dritten Abend veranlasst, die ganze Treppe mit Pech zu bestreichen. So blieb ein Pantoffel daran kleben, als das Aschenputtel herabsprang.
Am allernächsten Morgen zog der Zauber den Prinzen zum Haus wo auch das Aschenputtel wohnte. Der Prinz machte sich bemerkt und sprach: „Diejenige, deren Fuß in dieses Schühchen passt, nehme ich als Braut mir mit in den Palast.“ Die beiden rechtschaffenen Schwestern freuten sich schon, denn sie hatten wohlgeratene, zierliche Füße. So probierte die Älteste den Schuh. Aber sie konnte mit der großen Zehe nicht hineinkommen. Da reichte ihr das Aschenputtel ein Messer und sagte: „Wer schön sein will, muss schneiden! Als Königin musst du eh nicht mehr zu Fuß zu gehen.“ Das Mädchen hieb die Zehe ab, zwängte den Fuß in den Schuh und ging hinaus zum Königssohn. Vom Zauberbäumchen aber rief eine von Aschenputtels Teufelstauben: „Yo, ruggedigu, Alter! Ich hoff du hast deine AIDS-Handschuhe an, da is mal überviel Blut in dem Schuh, Mann! Widerlichst, ey!“
Da schlug der Prinz die Älteste, dass sie zu Boden fiel und riss ihr mit Gewalt den Schuh von ihrem wehen Fuß.
Sodann gab er den noch blutnassen Schuh der Jüngeren. Da ging diese in die Kammer und kam mit den Zehen gut in den Schuh, aber die Ferse war zu groß. Da reichte ihr das Aschenputtel ein Messer und sagte: „Wer schön sein will, muss schneiden. Als Königin musst du eh nicht mehr zu Fuß zu gehen.“ Das Mädchen hieb ein Stück von der Ferse ab, zwängte den Fuß in den Schuh und ging heraus zum Königssohn. Doch wieder rief die Teufelstaube: „Yo, ruggedigu, Alter! Wenn du kein Vampir bist, der sein Mittagessen gern aus Stilettos schlürft, würd ich echt die Finger von dem Fußfänger lassen. Blutflecken kriegt man nie mehr aus dem Pferd!“ Da schlug der Prinz auch die Jüngere, dass sie zu Boden fiel und riss ihr mit Gewalt den Schuh von ihrem verstümmelten Fuß.
Da trat auf einmal ganz scheinheilig das Aschenputtel hervor, nahm den Schuh, goss mit dem Blut daraus das Zauberbäumchen und schlüpfte ohne Anstrengung hinein. Vater, Mutter und die Schwestern fielen aus allen Wolken. Aschenputtel aber erklärte sich nicht. Sie stieg mit dem Prinz auf dessen Schimmel und ritt mit ihm von dannen.
Die Schwestern waren recht betrübt darüber, dass das Aschenputtel mit List und Tücke sich unrechtmäßig das genommen hatte, wofür sie beide so lange und fleißig Diät gehalten und gelernt hatten.
Als aber die Hochzeit gehalten wurde, gingen die Schwestern doch hin, um zu schauen und zu gratulieren. Doch wie die Brautleute zur Kirche gingen, kamen Tauben angeflogen, die pickten den Schwestern je ein Auge aus. Hernach, als die Frischvermählten wieder heraustraten, kamen abermals Tauben und pickten den armen Schwestern auch noch das andere Auge aus. „So geht‘s halt ungebetenen Gästen!“, spottete die junge Braut und spuckte ihnen in die leeren Augenhöhlen.
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Martin Brunner, 2015