I
Wie es da hin kam
Es war Samstagmorgen, Zeit für den Gottesdienst. Engel, Erzengel, Seraphim und Cherubim, alles im Himmel musste sich jeden Samstag um Punkt acht Uhr früh um Gott herum knien, Ihm das Frühstück bringen und ihn dann anpreisen bis Er aufgegessen hatte, was sich ziemlich hin ziehen konnte, denn Gott hatte stets großen Appetit und Er aß langsam – sehr langsam – fast schon qualvoll genießerisch. Mehrere Megatonnen Manna, aberhunderte Amphoren Ambrosia und Äpfel, so viele Äpfel. Gegen halb zwölf war das Frühstück für gewöhnlich vollbracht und Gott geruhte sich dann immer ein wenig hinzulegen, bis es Schlag Mittag Zeit für die zweite Hauptmahlzeit des Tages und die nächste Preisung war. Samstag war Gottes Ruhetag. Keine Schöpfung, keine Zerstörung, nichts außer wohlverdienter Entspannung und Huldigung. Eines Samstagmorgens aber war Luzifer, Gottes Lieblingsengel und ein notorischer Morgenmuffel, besonders schlecht gelaunt, da er vom Schwefelwettsaufen mit Gabriel in der Nacht zuvor einen furchtbaren Kater hatte. „Aaah, scheiß Preisen. Sag dem Alten, er kann mal meinen Arsch preisen, aber nicht vor elf!“, maulte er, als ihn Michael wecken wollte. Michael zeigte ein verständnisvolles Lächeln, zuckte mit den Schultern und machte sich auf den Weg in die Küche, um den Toaster anzuwerfen. Nachdem Ihm seine vierte Kanne Kaffee dargereicht worden war, bemerkte Gott, dass Luzifer die Preisung schwänzte. Das war schon das dritte Mal in den letzten fünf Ewigkeiten – so ging das nicht weiter. Gott runzelte Seine Stirn, schüttelte langsam Seinen Kopf hin und her und brummelte irgendetwas in Sein Doppelkinn hinein, als Er an seiner Titanentasse nippte.
„Luzifer, so geht das einfach nicht weiter“, stellte Er den Langschläfer des Nachts zur Rede, als sie nebeneinander in Gottes Bett lagen. „Du weißt, dass ich von allen Engeln dich am meisten schätze. Mit dir schlafe ich am liebsten (man muss an dieser Stelle verstehen, dass Homosexualität die einzige Form von Sexualität war und ist, die es im Himmel gab und gibt, da es, laut Lehre, schließlich keine weiblichen Engel gab und gibt und auch niemals geben wird), mit dir saufe ich am liebsten, mit dir rede ich am liebsten. Dennoch, deine Schlampigkeit kann ich so nicht weiter dulden. Wenn das so weitergeht, muss ich mir einen anderen Lieblingsengel suchen.“ So sprach Gott und in Luzifer entbrannte eine fürchterliche Eifersucht. Niemand konnte es dem Herrn so gut besorgen, wie er. Überhaupt hatte kein, nicht ein, anderer Engel auch nur eine Qualität, die sich auch nur im Entferntesten mit einer der seinen hätte messen können. „Boah, mach doch nich so‘n Stress, bloß weil ich mal auspennen will, ey! Du bist mal die Überzicke, Mann“, schnappte er trotzig zurück, sprang auf und rannte in sein eigenes Gemach.
Was sich dort abspielte, ähnelte ein wenig Paul Watzlawicks „Geschichte mit dem Hammer“, bis Luzifer zu dem Schluss kam, Gott habe ihn eh überhaupt nicht lieb und er sei sowieso nur der Sexsklave des alten Bocks. Der Zorn in ihm wuchs und wuchs und als er endlich überhandnahm, heckte der gekränkte Engel einen Racheplan aus. Noch nie hatte es irgendwer gewagt, gegen Gott aufzubegehren, aber in seiner Wut bedachte Luzifer keinerlei Konsequenzen. So schlich er sich spät nachts in Gottes Hobbyraum. Dort hatte Dieser ein neues Modell aufgestellt. „Noch so‘n scheiß Planet, ey!“, dachte sich Luzifer, als er das Machwerk betrachtete. „Wie heißt das? Erde? Mann Gott, du wirst senil! Was fürn scheiß Name für ein scheiß Projekt! Und dafür opferst du all deine Zeit? Die ganze letzte Woche keinen Sex – deswegen!!??? wart nur, ich werd dir zeigen, wie scheiße das Ding wirklich ist“, sprachs und machte sich daran, Gott eins auszuwischen. Er schwebte über das Modell, zog seine Tunika hoch und drückte ab. Platsch! landeten zwei große Haufen Engelskot mitten auf dem neuen Spielzeug.
Gott war außer sich vor Wut, als Er die Sauerei am nächsten Morgen bemerkte. Alle Wesen, die da kreuchten waren tot. „Meine schönen Dinosaurier! Wer ist für diese schändliche Missetat verantwortlich?“, dröhnte er. Da Luzifer als einziger feixte, war es nicht besonders schwierig, den Schuldigen ausfindig zu machen. „So nicht, SOOOO NICHT!!“, brüllte Gott ihn an. „Ab auf den Mars mit dir! Bis zum Abendessen überlege ich mir, was ich mit die anstelle!“ Gar nicht mehr so schelmisch grinsend, aber dennoch vermutend, Gott würde sich schon wieder fassen, schlurfte der Spitzbube also auf den öden Mars, um seinem Schicksal zu harren.
Der Abend kam und der Herr bestellte den Strolch zu Sich. „Du hattest Glück, festen Stuhlgang gehabt zu haben, so konnte ich dein Malheur trockenföhnen und als neue Landmasse verwenden. Der Dung wird außerdem die Pflanzen prächtig gedeihen lassen. Ich werde es übrigens Neuseeland nennen. Ziemlich originell, was? Trotzdem, du musst bestraft werden. Hiermit verdonnere ich dich dazu, eine Ewigkeit auf der Erde zu verbringen und meinen neuen Kreaturen, den Menschen, als Morgenstern noch vor dem ersten Sonnenstrahl den neuen Tag anzukündigen!“ „Was!?“, war alles, was der baffe Luzifer herausbrachte. Damit hatte er nicht gerechnet. Das war zu hart! Aber alles Bitten und Flehen half nichts und er wurde verbannt. „Auf seinem eigenen Dreck soll er hocken und schmoren, der kleine Stinker, bis ihm einleuchtet, dass ich hier der Chef bin“, dachte Gott und bugsierte den armen Luzifer mit einem Fingerschnipp direkt nach Neuseeland.
II
Wo es wohnt
„Oh! Oooh! Das kann er nicht machen!“, schrie Luzifer empört.
„Die dumme Mistsau! Dem werd ichs zeigen! Wart nur ab, waart nur ab!“ Damit grub er sich hinein in die Erde, wo Gott ihn nicht sehen konnte, und grollte vor sich hin, dass das Land Feuer und Schwefel spie. Dort wohnte er fortan – tief unten in seinem eigenen Exkrement und brachte die Unterwelt vor Wut auf Gott zum Kochen.
III
Was es macht
Anfangs machte Luzifer gar nicht viel. Er schmollte, tobte, schrie und fluchte, da er jeden Morgen so früh aufstehen musste und von Gott streng kontrolliert wurde. Nach einiger Zeit jedoch wurde ihm gewahr, dass der Allmächtige Sich mittlerweile wieder mit etwas neuem beschäftigte und nicht vor der Apokalypse wieder einen Blick auf die Erde werfen würde. Das ging immer so. Er gab ein wenig Starthilfe, dann überließ Er Seine Schöpfungen ihrem Schicksal, bis Er ihrer überdrüssig würde und sie ins Feuer würfe, um Platz zu schaffen im „Universum“, wie er seinen Hobbyraum nannte. So war nun auch das Modell Erde sich selbst überlassen, oder genauer gesagt – es war ihm überlassen. Ihm, Luzifer. Schließlich war er ein Engel und hatte Gott allerhand Tricks und Kniffe, sein Handwerk betreffend, abgeschaut. Er war furchtbar eifersüchtig auf die Erde und die Menschen. Ihretwegen saß er hier fest, darum, so dachte er, könne er seine Zeit auch nutzen, ihnen alles heimzuzahlen und Gott obendrein zu zeigen, dass Er es nicht mit einem willenlosen Schwächling von Sklaven zu tun hatte, den Er nach Belieben ausbeuten konnte.
Als erstes klebte Luzifer also einen seiner drei goldenen Zähne ans Firmament, dass etwas dort oben blinken sollte, nur für den Fall, dass Gott doch einmal herüberschielen würde. War er es doch längst leid, den Lichtbringer zu machen und nun, da die Kontrolle nicht mehr besonders streng war, würde es der Beißer als Morgenstern tun. Danach schuf sich der zornige Engel ein Tunnelnetzwerk unter der Erdoberfläche. Wenn Engel zürnen, schmelzen Marmor Stein und Eisen wie Butter im Zentrum einer thermonuklearen Explosion. Was heute weitläufig als „vulkanische Aktivität“ abgetan wird, ist nämlich in Wirklichkeit die unmittelbare Präsenz des Leibhaftigen.
Dann machte er sich daran, Krankheit, Krieg und Hungersnöte über die Menschen zu bringen und hatte großen Spaß daran, jene dummen, armseligen Kreaturen in allerlei Verderben zu stürzen. Er wandelte bisweilen gar unter ihnen, höchstpersönlich in den groteskesten Verkleidungen, ja selbst in Menschengestalt, um sie Furcht und Neid und Gier und Hass zu lehren. Gott war nie, nicht ein einziges Mal, irgendwo persönlich erschienen. Nur er, Luzifer, Satan, Beelzebub, der Teufel und wie auch immer ihn die Menschen zu nennen pflegten, wanderte, wie der Wolf im Schafspelz, unter den Lämmlein des Barmherzigen umher. Er predigte ihnen in schönem Wort, pflanzte Unmut und Misstrauen in ihre simplen Gemüter. Schon immer waren die vernachlässigten Kinder Gottes ganz wild auf religiöse Redenschwinger, die ihnen süße Heilsbotschaften im Namen ihres geistlichen Vaters kundtaten und so nannte sich unser Engel mit den tausend Namen „Statthalter oder Stellvertreter des Sohnes Gottes“, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu erhalten. Ein schlauer Trick, den er hier anführte, denn schließlich war er, Luzifer, ja ein Sohn Gottes und predigte in seinem eigenen Namen. Der Gefallene war gewieft, aber nicht unfair. Hätten die doofen Menschenkinder besser aufgepasst, wäre ihnen sofort aufgefallen, dass sein Titel einen versteckten Hinweis auf seine wahre Identität barg:
„Stellvertreter des Sohnes Gottes“. Damals sprachen die Leute freilich Latein. Man nannte den begabten Redner, der das Feuer in den Herzen so zu schüren wusste also „VICARIUS FILII DEI“. Wenn man nun aber die Zahlenwerte der lateinischen Buchstaben zusammenzählt (I=1; V=5; L=50; C=100; D=500), so lässt sich mit Hilfe des kleinen Einmaleins sehr leicht herausfinden, dass die Summe 666 beträgt. Und unter genau dieser Seriennummer wurde Luzifer damals hergestellt und selbst die Menschen wussten, dass dies die Zahl Satans war. Aber selten waren sie gescheit genug, derartige Indizien zu entschlüsseln und wenn sie es waren, wurden sie als Hexen und Ketzer verbrannt. Und wer ließ die ganzen Leute verbrennen? Der Papst. Und wer trägt heute noch den Titel VICARIUS FILII DEI? Richtig: der Papst!
Wie dem auch sei, vor etwa 600 Jahren wurde es Satan zu langweilig, so ganz allein Verderben über die Welt zu bringen. Er sann darauf, sich eine Armee von Helfershelfern zu schaffen. Menschen nach seinem Bild, mit seinen Idealen versehen und hörig nur ihm allein. Sie sollten durch die Lande ziehen und bald den ganzen Globus ihm unterworfen haben, damit sie sich zum Schluss alle selbst vernichteten in heißem Feuer und obendrein vielleicht auch gerade noch Gottes Hobbyraum mit abfackelten.
Etwa um diese Zeit der Weltgeschichte tauchten übrigens die Maori in Neuseeland auf, von denen bisher niemand so ganz genau sagen konnte, woher sie eigentlich kamen. Nun, das wäre wohl nunmehr geklärt. Der Teufel schuf sie und er brannte ihnen sein Zeichen (Moko) ins Gesicht, so wie der Herr damals Kain gebrandmarkt hat. Aber auch hier konnte es der verspielte Höllenfürst nicht lassen, uns einen Hinweis zu geben, wer jene Wesen wirklich waren, die an seiner statt die Welt unterjochen sollten: Maori heißen sie. Nun, jeder anständige Satanist weiß, dass der Dunkle einen Fimmel für umgekehrte Worte hat: Teufelsanbeter sprechen ihre Namen rückwärts aus, satanische Botschaften offenbaren sich beim rückwärtigen Abspielen vieler Schallplatten und auch hier wieder: rückwärts.
MAORI von hinten gelesen ergibt: I ROAM, das ist natürlich Englisch, Satans Lieblingssprache seit Henry VIII gegen Gottes Ehegesetz rebellierte, und bedeutet zu Deutsch „Ich ziehe umher“. Und zog er nicht selbst umher, der Gefallene, und sollten fortan nicht jene Kreaturen in seinem Namen umherziehen? Der Beweis hierfür findet sich sogar in der Bibel, die ja offenbar keiner jemals liest: „Der HERR aber sprach zu dem Satan: Wo kommst du her? Der Satan antwortete dem HERRN und sprach: Ich habe die Erde hin und her durchzogen.“ (Hiob 1,7)
Nun aber trug es sich zu, dass die Menschen selbst, nichtsahnend und lediglich ihrer Gier nach mehr Territorium frönend, Luzifer zu Hilfe kamen und zwar in Form der Engländer – dem schlimmsten Volk von allen! Kreuzzüge führten sie, zogen als Kolonialisten mordend und plündernd durch die Welt, um allen ihre Herrschaft aufzudrängen. So auch hier. Jedoch zeigten sie sich in diesem Falle seltsamerweise ungewöhnlich gnädig (oder zugeneigt?) und schlossen einen Vertrag mit den Maori. Den berühmten Vertrag von Waitangi. Tröpfe! Einen Vertrag mit Satans Geschöpfen ist so gut wie ein Packt mit dem Leibhaftigen selbst! So dienten auch sie bald ausschließlich den Zwecken des Bösen in seiner ganz eigenen subtilen Art.
Es ist nicht zu übersehen, dass ganz Neuseeland bereits, unwissentlich oder wissentlich, in der Gewalt des Bockfüßigen sich befindet. Man braucht sich ja bloß umzuschauen, es ist ganz offensichtlich. Die Straßen sind nach Einbruch der Dunkelheit wie leergefegt. Selbst in den großen Städten. Jede Nacht. Außer Freitagnacht. Freitagnacht wird gefeiert, gesoffen und gesündigt bis zum Umfallen. Warum aber ausgerechnet Freitag? Sehr einfach, wenn man dem versteckten Hinweis folgt. Es ist doch so: Am Sabbat wird geruht. Und jeder weiß, Sabbat ist am Samstag. Auch Gott ruht am Samstag, dem siebten Tag der Woche. Freitag ist demzufolge der sechste Tag der Woche. In Neuseeland aber heißt Freitag „Friday“. Friday hat sechs Buchstaben und fängt außerdem mit „F“, dem sechsten Buchstaben des Alphabets an. Wir haben also den 6. Tag, 6 Buchstaben und die 6. Position im Alphabet. Wieder 666, Number Of The Beast. Es ist ganz offensichtlich. Soviel zu Neuseeland.
Aber auch in England schläft das Böse nicht. So wird auf Gutheißen der Königin seit hunderten von Jahren mitunter munter Gin destilliert, obwohl jeder weiß, der Teufel hat den Schnaps gemacht. Aber nicht nur das Englische Mutterland unterstand seit jenes Vertrages der Autorität Satans. Auch das Lieblingskind der Krone war durch die enge Beziehung zur ehemaligen Kolonialmacht mit dem Virus sofort infiziert worden. USA, oder: Under Satans Authority. Neben ständigen Kriegsanzetteleien brachten die Vereinigten Staaten, oder vielmehr Vereinigten Satanischen Armeen eines der größten Übel überhaupt auf den Planeten: Hippies. Diese possierlich anmutenden Wesen wirkten völlig harmlos und doch – hieß ihr Gott nicht LSD – Lucifer-Satan-Devil? Und brachten sie nicht das gesamte Weltgefüge durcheinander mit ihrer sogenannten „Sexuellen Revolution“, nach der bis heute niemand mehr so recht weiß, ob er Mann oder Frau oder beides ist? Und schreit momentan nicht der Rest der Welt Mordio und Zeter, weil er fürchtet, dass alles in nuklearem Feuer zugrunde gehen wird aufgrund der Machenschaften eines gewissen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika? Nukleares Feuer. Aha! Feuer! War das nicht von Anfang an der Plan, die Menschheit zu braten und Gottes Hobbyraum auch gleich noch mit abzufackeln?
Und ich, ich bin mittendrin, denn auch in Deutschland herrscht das Böse. Trugen die Insassen des englischen Königshauses bis zum 1. Weltkrieg nicht den sehr deutschen Titel „von Sachsen-Coburg-Gotha“? Und dass Deutschland seinen satanischen Pflichten mehr als gründlich nachgekommen ist, steht wohl außer Zweifel. Blöde Menschheit. Wer sich solange an der Nase herumführen ließ, hat es nicht besser verdient. Lass sie schmoren! Ich geh mir derweil ein Bierchen trinken. Dies nur, damit niemand sagen kann, ich hätte nicht gewarnt. Prosit!
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Diese „Abhandlung“ ist aus Wahrheiten und Halbwahrheiten mit Fluffy Logic zweckdienlich zurechtgereimt. Sie wurde inspiriert von einem protestantischen Pamphlet gegen den Katholizismus, das mir 2003 in Neuseeland in die Hände geriet, und das, wenn auch inhaltlich ganz anders, argumentativ ähnlich zusammengeschustert war.
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Martin Brunner, 2003
Bild: vermutlich J. Fillisch