Und Heu und Staub und Stille

Theresa tun die Treter weh. Sie tränt und wimmert leise vor sich hin. Kein Wunder. Ihre Füße sind nicht größer als mein Handballen. Winzige, windelweiche Sohlen voll rosiger Runzeln. Nichts für weite Wege. Warte, Schatz, sagt ihre Mama, schürt sich die Hände, wärmt und knetet vorsichtig die zarten Zehen. Werden die Füße noch wunter, kommst du bald schon nicht mehr unter, reime ich in Gedanken vor mich hin. Ein erleichtertes Lächeln strahlt hervor aus Staub und Rotz. Theresas Lächeln bleibt mir noch bis heute. Zum Glück. Seither habe ich nie wieder etwas Vergleichbares gesehen. Was wohl aus ihr wurde? Albern, sich so etwas zu fragen. Theresa war mir überlegen. Sie sorgte sich nicht darum, was war, oder was werden würde. Sie sorgte sich allein um ihre wehen Füße. Und dann um gar nichts mehr.

Huldvoll hingen honigfarbene Heuzöpfe vom hölzernen Gebälk des alten Schopfs. Umfangen von Haarnetzen aus Spinnenseide baumelten sie hin und her zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Es war viel los. Wir waren alle auf der Flucht vor dem November. Im Wind wirbelten Myriaden kleiner Sensen, deren Schneiden in der schuppigen Bretterwand des Schopfs stecken blieben. Kommst du nicht unter, kommst du um. Kommst du nicht um, kommst du drum rum, sagte Silek seinen Spruch auf, während er Hornissen in die Wunden der letzten Nachzügler stechen ließ, damit sie zuschwollen und aufhörten zu bluten. Mirna bot den Neuzugängen Moosbeerbrei in Walnussschalen an, und Muschelkalk zum lecken. Heu war noch immer reichlich da. Daran mangelte es nicht. Die Schlafenden zerrieben es zu Staub, der unentwegt zu Boden schneite und sich zentimeterdick zu Sediment festtrat. Doch selbst wenn sich in hundert Jahren noch die letzten Menschen betten wollten, wäre wohl genügend Heu vorhanden.

Ein zotteliger Zausel zog sich blutgefüllte Zecken aus dem Bart und gab sie einem bleichen Kind, das sie zerkaute. Der Zausel spürte meinen Blick. Er dreht seinen Kopf und sah mich aus der Hocke heraus an, als habe er schon längst darauf gewartet, dass ich ihn ertappe. Meine Seele ging manchmal ein wenig auf den Wackel, um sich die Beine zu vertreten. Vielleicht auch, um ungefilterte Eindrücke zu sammeln. Ich habe nie gefragt. War ja ihr Ding. Ich fand es immer schön, wenn sie unterwegs war. Dann konnten wir nach langer Zeit ganz nahe beieinander stehen, wenn wir uns wieder neu begegneten. Meine Seele nahm die unterschiedlichsten Gestalten an, wenn sie sich frei bewegte. An jenem Abend war sie wohl als zotteliger Zausel unterwegs. Sie tätschelte dem bleichen Kind noch aufmunternd die Wange, dann stand sie auf und kam zu mir herüber. Da war sie also wieder. Und mit ihr diese fundamentale Anziehungskraft, die sich zwischen uns ergab, wenn wir uns dicht nebeneinander befanden.

Stumm standen wir und spürten nur das Strömen zwischen uns. Der Heustaub zog Spiralen über unseren Köpfen und verglühte zwischen uns zu Asche. Erst als dann Stille war und Leere ganz um uns herum, murmelte mir meine Seele etwas vor. Etwas aus längst vergangener Zeit, das sie mit her gebracht hatte: Where does time sleep at night? One night in Italy I died. Froze to death I did. Starting from the toes, the last thing to die was a dream. That morning a corpse stumbled out to meet the dawn. On a hilltop I hugged the first rays of a new sun, I saw the rain kiss the Tuscan wine fields, I saw a tree bleed for someone’s love and I heard Guinness settle in the roar of the thunder. I feel so tired. Ja. Ich auch, flüsterte ich. Wir legten uns hin. Arm in Arm, die Augen zu. Ich bin froh, dass du da bist. Es wird noch kälter werden.

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